Digipro

Thomas Regout International B.V.

Manche Produktionsprozesse in der verarbeitenden Industrie sind so komplex, dass sie nur von Mitarbeitern mit langjähriger Berufserfahrung durchgeführt werden können. Wenn sie plötzlich ausfallen, haben die Arbeitgeber ein großes Problem. Wie bildet man neue Mitarbeiter aus? Das Unternehmen Thomas Regout International B.V. (TRI) aus Maastricht, Hersteller von hochwertigen Teleskopschienen, hat im Rahmen von Digipro eine Anwendung entwickelt, mit der sie Mitarbeiter mit Hilfe von Augmented Reality (AR) Schritt für Schritt durch den Produktionsprozess führen können. Kay Tuip und Raoul Frenken, beide Process Engineer bei TRI, sprechen über ihre Erfahrungen.

Teleskopschienen

TRI ist Hersteller von sogenannten Teleskopführungen. Ein Führungssystem ist eine Kombination aus verschiedenen Profilen, die sich durch Gleitelemente relativ zueinander bewegen können. Tuip: "Unsere Produkte sind in verschiedenen Marktsegmenten zu finden, z. B. in Geldautomaten, Werkzeugschränken und in der Automobilindustrie. Was uns vom Wettbewerb unterscheidet, ist unsere Fähigkeit, kundenspezifische Wünsche schnell in ein Konzept umzusetzen. Wir versuchen, mit dem Kunden mitzudenken und können bei Bedarf auch Kleinserien mit kurzer Lieferzeit und hoher Qualität produzieren."

Flexible Produktion

Frenken: "Ein kundenspezifisches Geschäftsmodell erfordert ein hohes Maß an Flexibilität. Deshalb haben wir unsere Produktionsprozesse so eingerichtet, dass wir schnell umstellen können. Wir verarbeiten unsere Endprodukte mit komplexen Werkzeugen. Diese Werkzeuge lassen sich am besten mit einem Bausatz vergleichen, der aus einer Reihe von Komponenten besteht. Jedes Werkzeug hat mehrere Versionen und kann auf unterschiedliche Weise unter einer Maschine platziert werden. Die korrekte Montage dieser Werkzeuge ist entscheidend für die Qualität unserer Endprodukte. In unserem Unternehmen gibt es eine Abteilung, die für den Zusammenbau der Werkzeuge aus Komponenten zuständig ist. Diese Abteilung besteht derzeit aus vier Mitarbeitern, die alle über jahrzehntelange Erfahrung verfügen. Unsere Werkzeuge, die aus mehr als Hunderten von Varianten bestehen, wurden über Jahre hinweg auf der Grundlage des Wissens und der Erfahrung dieser Mitarbeiter zusammengestellt. Wir können sie nicht durch Maschinen ersetzen, denn dafür ist der Montageprozess einfach zu komplex."

Erweiterte Realität (AR)

Tuip: "Wenn unsere erfahrenen Mitarbeiter plötzlich ausfallen, haben wir ein großes Problem. Der Einarbeitungsprozess für neue Mitarbeiter dauert mehr als eineinhalb Jahre. Anstatt neue Mitarbeiter auf den aktuellen Wissensstand zu schulen, wollten wir untersuchen, ob wir diesen Prozess mit Hilfe von Informationstechnologie unterstützen können, mit dem Ziel, den Großteil der Arbeit an diesem speziellen Arbeitsplatz unabhängig vom Wissensstand des Mitarbeiters zu machen".

"Dafür haben wir im Rahmen des Digipro-Projekts eine Lösung gefunden, die auf der Erweiterten Realität (Augmented Reality) basiert. Die Idee war, eine Anwendung zu entwickeln, die es unseren Mitarbeitern ermöglichen würde, Lehrvideos auf der Grundlage von Animationen der 3D-Modelle unserer Werkzeugkomponenten zu erstellen. Mit diesen Montageanleitungen können wir unerfahrene Produktionsmitarbeiter Schritt für Schritt durch den Montageprozess führen und ihnen zeigen, welche Aufgaben sie in den einzelnen Schritten zu erledigen haben."

"Das eigentliche Ziel war es, diese Anwendung mit der Hololens (einer AR-Brille) kompatibel zu machen, so dass die Mitarbeiter die Montageanweisungen direkt in ihrem Sichtfeld sehen können, während sie beide Hände frei haben, um das echte Werkzeug zu montieren. Auf diese Weise kann jede Person ein Werkzeug zusammenbauen, ohne dass sie jahrelange Erfahrung benötigt. Wenn einer unserer erfahrenen Mitarbeiter plötzlich ausfällt, müssen wir nicht befürchten, dass unsere Produktion zum Stillstand kommt. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir auf diese Weise den Schulungsprozess drastisch verkürzen können, da neue Mitarbeiter bei ihrer Arbeit durch intuitive Anweisungen unterstützt werden. Die derzeitigen Mitarbeiter müssen daher weniger Zeit für die Ausbildung neuer Mitarbeiter aufwenden. Sie können sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren.“

Gebündeltes Wissen

Obwohl Thomas Regout International bereits über 3D-Modelle der Komponenten verfügte, wurde externes Wissen benötigt, um eine Anwendung zu entwickeln, mit der sie die AR-Anweisungen generieren konnten. Frenken: "Im Rahmen des Digipro-Projekts haben wir mit dem deutschen Unternehmen ProcEvolution UG und dem niederländischen Unternehmen AppComm BV zusammengearbeitet. Die kooperierenden Partner waren für die Entwicklung der Applikation verantwortlich. Wir sind selbst keine Software-Entwickler. Wir sind besonders gut darin, die Prozesse zu beschreiben, wobei wir auch den wirtschaftlichen Nutzen einer solchen Anwendung berücksichtigen müssen. ProcEvolution arbeitete hauptsächlich am Backend der Anwendung: Datenverwaltung, An- und Abmeldung, wie man sicherstellt, dass jemand berechtigt ist, etwas zu bearbeiten, und eine andere Person nur berechtigt ist, sich etwas anzusehen. AppComm hat hauptsächlich am Frontend gearbeitet: wie soll die Anwendung aussehen, wie kann man die 3D-Modelle rotieren und animieren lassen und wie kann man ein Video aufnehmen. Kurz gesagt: Sie haben sich um die Visualisierung gekümmert. In dieser Machbarkeitsstudie waren der Export des Front-Ends auf die Hololens und die Verbindung des Front- und Back-Ends die größten Herausforderungen. Letzteres wurde durch die Korona-Krise noch verstärkt. Während des Projekts konnten wir uns nur wenige Male persönlich treffen.“

Blick in die Zukunft

Tuip und Frenken sind mit dem Ergebnis des Projekts zufrieden. Tuip: "Wir sind davon überzeugt, dass AR-Lösungen einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung von Personal in einem industriellen Umfeld leisten können. Viele Produktionsunternehmen werden mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert: kurzfristige Abwanderung erfahrener Mitarbeiter, immer komplexere Geschäftsprozesse und die zunehmend schwieriger werdende Suche nach qualifiziertem Produktionspersonal. Unserer Meinung nach gibt es nur eine Lösung für diese Herausforderungen: Innovation. Mit Hilfe neuer intelligenter Technologien hoffen wir, die Herausforderungen zu lösen und gleichzeitig junge Mitarbeiter zu begeistern, denn wer möchte nicht mit solchen vielversprechenden Technologien arbeiten?"